Die Eingewöhnung von Severin

ein Beitrag von Judith Sinnhuber


Das ist Severin mit seiner Mama. Die beiden betrachten ein Bilderbuch mit verschiedenen Fahrzeugen, das Severin an seinem ersten Tag bei uns entdeckt und sofort seiner Mama gezeigt hat. Natürlich haben wir es ganz bewusst für die Gruppe ausgewählt, weil wir in einem Vorgespräch von seinem Interesse an Feuerwehr, Polizei, Rettung & Co. erfahren haben.

Materialien zu beliebten Inhalten des Kindes schaffen eine Spur von Vertrautheit in der fremden Umgebung und wecken andererseits seine Neugier.


Die einzelnen Phasen des Tagesablaufes konnte Severin sehr bald voneinander unterscheiden. Das zeigte sich schon während der ersten Tage, als seine Mama ihn noch begleitete. Es war daran zu erkennen, dass er sofort (und v.a. angemessen) auf das Signal reagierte, das den Beginn des Morgenkreises anzeigt, indem er sich auf seinen angestammten Platz setzte. Es hat den Anschein, als könnte er sich "Ereignisse", die voneinander klar verschieden sind, besonders rasch einprägen. (z.B. kann Severin auch Zahlen von Buchstaben unterscheiden)


Severin zeigt bei uns im Kindergarten ein großes Bedürfnis nach gleichbleibenden Bezugspersonen. Er hält sich deshalb immer in meiner Nähe auf und zieht es vor, sein Spiel zu unterbrechen und mich zu begleiten, wenn ich den Raum verlassen muss. Ich stelle mich darauf ein, indem ich

  1. ihm Bescheid gebe, sobald ein Raumwechsel nötig wird. Er darf mich überall hin begleiten. Ausnahme: WC - da wartet er vor der Tür ;0)
  2. darauf achte, jeden Tag zumindest eine längere Phase mit ihm gemeinsam in einem von ihm bestimmten Raum zu spielen.

Gleichzeitig nutze ich viele Gelegenheiten (v.a.. Raumwechsel), um Severin mit anderen Teammitgliedern vertraut zu machen. Ich stelle sie ihm indirekt vor, indem ich z.B. erwähne: "Schau! Das ist die Claudia. Sie hilft gerade dem Frederik dabei, die Jausenbox aufzumachen."


 

Severin hat mittlerweile in allen Räumen, die er bisher "erobert" hat, ein Lieblingsspielzeug, nach dem er sofort Ausschau hält, wenn wir diesen Raum betreten. Im Atelier, zum Beispiel, sind es Holzfahrzeuge (Rettung, Polizei, Feuerwehr).

Vermutlich gibt ihm das Spielen mit Gegenständen, die einem seiner speziellen Interessen entsprechen, Sicherheit.


Beim Hantieren mit Knetmasse kommt Severin in Kontakt mit anderen Kindern. Er beobachtet oft, wie sie bestimmte Werkzeuge gebrauchen bzw. scheint er bei ihren Gesprächen zuzuhören. Manchmal kommt es vor, dass eines von ihnen ein Werkzeug haben möchte, mit dem Severin gerade arbeitet. Er sagt dann meist: "Na, i brauchen den!", bietet aber gelegentlich ein anderes Werkzeug an. Das zeigt, dass er das Bedürfnis des anderen Kindes wahrnimmt und es auch befriedigen will - eine enorme Leistung in seinem Alter!


Generell lässt sich sagen: Es gibt eigentlich kein Kind, das nicht in irgendeiner Form auf gravierende Lebensereignisse reagiert - und der Kindergarteneinstieg ist so eines.

Severin bedient sich neuerdings einiger Verhaltensweisen, die er vor dem Kindergartenbeginn schon länger nicht mehr gezeigt hat, wie z.B. das In-den-Mund-Stecken von Spielsachen oder vermehrtes Essen mit den Fingern. Über den Grund lassen sich nur Vermutungen anstellen. Evtl. spürt er dadurch die Gegenstände intensiver (und bekommt auf diese Art mehr Informationen darüber) oder er begibt sich unterbewusst auf eine Entwicklungsstufe zurück, die er mit einem Gefühl der Sicherheit verbindet. Sollte die zweite Vermutung zutreffen, ließe sich eine abgeschlossene Eingewöhnung daran erkennen, dass er dieses Verhalten wieder aufgibt, weil er sich dann im Kindergarten vollständig sicher fühlt und gut zurechtfindet. Hier empfiehlt es sich, geduldig zu sein und den positiven Aspekt wertzuschätzen, der hinter dieser Regression (Entwicklungsrückschritt) steckt: Es zeigt, dass Severin eine Strategie gefunden hat, mit der neuen Situation umzugehen, und kann ein Indikator für den Fortschritt seiner Eingewöhnung sein.