Die Eingewöhnung von Laurenz


Das ist Laurenz.

An seinem ersten Kindergartentag wollte er in der Aula mit der Brio-Eisenbahn spielen, an die er sich noch vom Schnuppern erinnerte (welche Gedächtnis-Leistung!). Er fragte mich, wo sie sei. Als ich ihm antwortete, wir hätten sie weggeräumt, um Platz für andere Dinge zu haben, marschierte er mit demselben Anliegen schnurstracks zu seiner Mama, von der er eine ähnliche Antwort erhielt. Er bat auch andere Erwachsene darum, mit dem Holz-Zug spielen zu dürfen, aber ohne Erfolg. Ich war erstaunt über seine Beharrlichkeit.

Wie sich herausstellte, war er verwirrt, weil ein ihm bekannter Ursache-Wirkungs-Zusammenhang (Wenn ich "bitte" sage, dann bekomme ich was ich haben möchte.) in diesem Fall keine Gültigkeit hatte. Einen Tag später entdeckten wir die Brio-Eisenbahn eher zufällig im Atelier - wie schön!


An seinen ersten Tagen bei uns wollte Laurenz noch nicht "aktiv" am Morgenkreis teilnehmen. Er bevorzugte es, uns von oben zuzuschauen oder von einem anderen Platz im Raum unserem Gesang und den Gesprächen zu lauschen, während er sich mit verschiedenen Spielmaterialien beschäftigte. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass er davon nichts mitbekommen hätte! Aus Gesprächen mit seiner Mama weiß ich, dass Laurenz sich die Lieder und Sprüche schon recht gut eingeprägt hat. Wir können junge Kinder also getrost die Wahl überlassen, WIE sie am Morgenkreis teilnehmen möchten.


Laurenz ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell wir in Versuchung sind, Kinder in eine Schublade zu stecken. Anfänglich schien es, als könnte sich Laurenz keine zwei Minuten mit einer Sache beschäftigen. Ständig flitzte er von einem Raum zum nächsten, ohne sich dort wirklich auf ein Spiel einzulassen. Doch hinter diesem Verhalten steckte offenbar eine ganz konkrete Strategie: Laurenz scheint sich dadurch einen Überblick verschafft zu haben über Räume, Materialien und Personal. Mittlerweile weiß er nämlich ziemlich genau, wo er was bzw. wen findet und kann gezielt bestimmte Orte oder Spielsachen aufsuchen, mit denen er dann durchaus eine Weile zugange ist.


Laurenz fährt mit dem Auto. Als die blaue Rollenrutsche seine Aufmerksamkeit erregt, steigt er ab. Daraufhin benutzt ein anderes Kind das Auto. Kurze Zeit später entdeckt Laurenz "die Tat" und will sein Auto wiederhaben. Er versteht nicht, dass sein Absteigen anderen Kindern signalisiert: "Jetzt kannst du damit fahren." Solche und ähnliche Situationen können bei Kindern großen Stress auslösen. Durch einen feinfühligen Umgang können sie aber zu einer wertvollen Lernerfahrung werden: Wir zeigen Verständnis, indem wir das Bedürfnis des Kindes in Worte fassen und trösten, wenn es traurig über den Verlust seines Spielzeugs ist.


 

Voller Freude präsentiert Laurenz im Morgenkreis seine Laterne. Ganz vorsichtig trägt er sie, weil ja die Kerze darin leuchtet.

Es ist immer wieder berührend zu sehen, wie stolz Kinder darauf sind, wenn wir ihnen große Aufgaben zutrauen. Deshalb geben wir ihnen im Kindergarten von Beginn an die Gelegenheiten, sich in Begleitung von Erwachsenen darin zu üben, solche Herausforderungen zu bewältigen. Wie heißt es so schön? "Nicht für die Schule sondern für das Leben lernen wir!"